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Gemogelte Zielbarkeit: Basteln an der „Zielgruppe”.



 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Heimlich, still und leise hat sich das Marketing über die Jahrzehnte von der reinen Bedarfsbefriedigung losgelöst und sich vornehmlich darauf gestürzt, die Menschen irgendwie „gezielter anzusprechen“ - indem man sie zusammengruppiert, wie man sie gern hätte; sei es auch noch so realitätsfern.

Man kennt das aus dem sommerlichen Stadtbild: Auf einer Wiese spielen Kinder Fußball und haben (z.B.) zwei Pullover oder Rucksäcke so deponiert, dass sie behelfsmäßig als „Torpfosten“ dienen und auf diese Weise das „Tor“ markieren.
Exact dasselbe findet auch im Marketing bei der Definition von so genannten „Zielgruppen“ statt. Jedoch mit einem Unterschied: Während kein einziges der Kinder behaupten wird, es würde sich bei den auf der Wiese abgelegten Pullovern tatsächlich um ein Fußballtor handeln, bestehen Marketing-Experten nachdrücklich und felsenfest darauf, theoretisch gebastelte „Zielgruppen“ seien real existent.

Dass bereits schon seit mindestens dem Jahr 1990 die „Auflösung der Zielgruppen“ als erhebliches Problem für das Marketing bestens bekannt ist, wird von diesen Experten kläglich verdrängt, ignoriert und verschwiegen – vor allem natürlich deshalb, weil damit das Marketing ad absurdum geführt wird, mit dem sie gutes Geld verdienen.

Das Phänomen „Zielgruppe“ und
was das überhaupt sein soll

Als nützliches Hintergrundwissen kann und sollte dabei dienen, dass das Marketing ein Kind der Massenproduktion und des Massenkonsums der Nachkriegszeit(!) der 1950er Jahre ist. Und das heißt: Wo eine Masse von Menschen in ziemlich überschaubaren Strukturen und Lebensverhältnissen einen nahezu identischen Bedarf hatte, war es damals noch problemlos möglich, diese Masse in einzelne Gruppen und Untergruppen zu kategorisieren.

Beispielsweise: Soldatenwitwen, „Trümmerfrauen“, sowie Familien, in denen der Mann das Geld verdient und sich die Frau zuhause um die Kinder kümmert, es wurde VW Käfer gefahren, mit „Persil“ gewaschen, wurden „Was bin ich?“ und „Stahlnetz“ angesehen. Es war zudem die Zeit, in der zwangsläufig ein Bedarf an allem möglichem bestand. Das Hauptproblem für Anbieter war damals, die Nachfrage überhaupt bewältigen zu können.

Das Marketing hatte damals also noch kein werbliches Kommunikations-Problem, sondern vielmehr lediglich reine Organisations- und Verteilungsprobleme der Bedarfsbefriedigung. Zum Beispiel in der Form, dass es einerseits Menschen gab, die noch Töpfe und Pfannen benötigten. Sowie andere Menschen, die keine mehr brauchten.
Unter diesen damaligen Rahmenbedingungen entstand das theoretische Konstrukt der „Zielgruppen“: Das planerische Zusammenfassen von Menschen, die einen potenziellen Bedarf am Angebot hatten.

Mit zunehmender Marktsättigung in den 1960er Jahren bis zur heutigen Überflussgesellschaft verlagerte sich auch der Schwerpunkt des Marketing: es ging immer mehr und geht heute in allererster Linie um das Kommunikations(!)-Problem, den Menschen überhaupt noch irgendetwas verkaufen zu können.
Und damit bekam auch der Begriff „Zielgruppe“ klammheimlich eine völlig neue, nämlich kommunikative Bedeutung.

Heimlich still und leise wurden als „Zielgruppe“ irgendwann nicht mehr die Menschen verstanden und bezeichnet, die einen bestimmten materiellen Bedarf haben. Sondern als „Zielgruppe“ wurden irgendwann – wie es bis heute der Fall ist - die Menschen verstanden und bezeichnet, die (vermeintlich) bestimmte gemeinsame Eigenschaften (vornehmlich: Schwächen) haben.

Künstlicher Durchblick: Die Illusion der „Zielbarkeit”

Eine klammheimlich veränderte Bedeutung, die heute komplett unter den Tisch fällt, wenn von „Zielgruppen“ die Rede ist, als sei das belanglos und irrelevant und höchstens für Historiker von Interesse.

Jedoch: Es könnte und sollte für jeden von Interesse sein, der auch nur mit dem Gedanken spielt, mittels Marketing vorzugehen und Menschen willkürlich in irgendwelche Gruppen einzuteilen, nur weil das in Lehrbüchern so geschrieben steht, weil das etablierte Praxis ist und „weil das schließlich alle so machen“.

Eine völlig übliche Zielgruppendefinition nämlich sieht heute deshalb ungefähr so aus: „Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 49 Jahren mit einem verfügbaren Jahreseinkommen ab ca. € 45.000,-, die in Ballungsräumen leben, viel Wert auf ihr Äußeres und auf gesunde Lebensführung legen“.
Dazu womöglich auch noch spezifiziert in Form so genannter „Typologisierungen“, wonach sich in der „Zielgruppe“ imaginäre Wesen befinden wie zum Beispiel „Oskar, der Bodenständige“, „Erwin, der Angepasste“, „Vroni, die Kritische“ und „Hilde, die Häusliche“, damit schnöde Marketing-Konzepte etwas plastischer wirken.

Das Ganze – per Marktforschung geographisch, psychographisch und sozialdemographisch mit einem Heidenaufwand ermittelt und analysiert - hat dann ungefähr die Qualität einer Fahndungsliste, die so aussieht:
„Die Polizei bitte um Ihre Mithilfe! Gesucht wird bundesweit nach 172 Terroristen und Straftätern, die durchschnittlich 1Meter82 groß und durchschnittlich 79 Kilogramm schwer sind, 62% davon sind dunkelhaarig, 89% dürften sich in Stadtgebieten aufhalten, und 41% könnten bewaffnet sein. Vorsicht, wenn Sie einen davon sehen!“.

Im Klartext: Mit dem Phänomen der „Zielgruppen“ gaukelt das Marketing eine „Zielbarkeit“ vor, die es nicht gibt! Und zwar nämlich: Eine „Zielbarkeit“ der Kommunikation und Werbung! Und zwar eben dadurch, dass man sich irgendwann vom faktischen, materiellen Bedarf verabschiedete und sich statt dessen auf theoretisch-angenommene und vermeintlich „erforschte” gemeinsame Eigenschaften von Menschen stürzt(e).

Ein (also: nur ein!) Knackpunkt an der Sache ist: Während sich natürlich ziemlich genau zählen und ermitteln lässt, wie viele Töpfe und Pfannen, wie viele Autos und Fernseher die Menschen besitzen, lassen sich die Eigenschaften von Menschen dagegen nur vergleichsweise selten zählen – geschweige denn: auch noch als Prozentwerte darstellen und in bunte Tortengrafiken verpacken.

Genauer gesagt: Offenbar ist das Marketing-Experten und -Beratern sehr wohl möglich. Es ist jedoch niemand gezwungen, auf diesen Taschenspielertrick und diese Mogelpackung namens „Zielgruppen“ hereinzufallen. Es ist immer sinnvoll, selbst zu denken und zwischendurch auch einmal „Selbstverständlichkeiten“ zu hinterfragen.

 

 
 
 
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